Neue Standards.
Neue Perspektiven.

Wir leben in einem Geflecht technischer Standards und Normen, die uns vor jeglicher Unbill des Lebens schützen sollen: vor Feuer, Hitze und Kälte; vor nachbarlichem Lärm, vor Treppen ohne Geländer und – dank der Stellplatzverordnung – vor einem Leben ohne Parkplatz.

Der Wunsch, das Leben mittels Standards zu beherrschen, ist anscheinend grenzenlos. Dabei sind die heute kritisch betrachteten Regelungen ursprünglich von einem humanistischen Anliegen motiviert: Die miserablen Lebensbedingungen in den extrem schnell wachsenden Städten zu Beginn der Industrialisierung führten zu dem Wunsch nach gesünderen Wohnverhältnissen. Jedoch mutierte das Ideal von Licht, Luft und Sonne in den letzten Jahrzehnten zu einem ausufernden Regelwerk. Jetzt, wo wieder einmal alles ganz schnell gehen soll, wo Wohnungen in großer Zahl zügig und zu sozialverträglichen Mieten gebraucht werden, wirkt die Vielzahl der Standards wie ein innovationsfeindliches Bollwerk. Und gleichzeitig erweisen sich viele der zugrunde liegenden Wohntypologien und Lebensmodelle als überholt.

350.000 neue Wohnungen pro Jahr sorgen für vielfältige Veränderungen

350.000 neue Wohnungen pro Jahr werden unsere Städte verändern, nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ. In welcher Qualität die Wohnungen gebaut werden, wo sie sich befinden und welche soziale Mischung sie zulassen, hat entscheidenden Einfluss auf die künftige gesellschaftliche Struktur in unseren Städten. Wie können die hohen Investitionen in den Wohnungsbau dazu beitragen, dass unsere Städte gerechter und sozialer werden?

Für die Suche nach Antworten ist es sinnvoll, Wohnen im Kontext einer sich verändernden Gesellschaft neu zu betrachten – einer Gesellschaft, die kulturell und ethnisch vielfältig ist, die eine Fülle von Lebensstilen aufweist. Verbunden ist damit ein Wandel von quantitativen technischen Standards hin zu neuen Standards, die den Menschen mit seinen Lebensgewohnheiten in den Mittelpunkt stellen und die Qualitäten des Wohnens beschreiben.

Neue Standards können so einen programmatischen Anspruch an das immense Wohnungsbauprogramm der kommenden Jahre stellen: Damit Wohnen bezahlbar bleibt; damit Menschen an ihrer Stadt teilhaben können; damit Wohnen Gemeinschaft stiftet, auch wenn sich diese heute stärker als Wahlverwandtschaft denn als Dorfgemeinschaft versteht; damit Wohnen eine Raumflexibilität für sich ändernde Lebensbedürfnisse innerhalb der Wohnung oder im Verbund mit anderen Wohnungen erreicht und damit Wohnen als architektonischer Raum begriffen wird und so für die Bewohner Vertrautheit und Verbundenheit mit ihrem Lebensort schafft.

Ausstellung „Neue Standards“ im DAZ, Berlin

In der Ausstellung fordern zehn Architektinnen und Architekten einen Perspektivenwechsel und plädieren für „Neue Standards“, welche die vermeintliche Sicherheit technischer Normen gegen die Chance auf eine Qualitätsdiskussion eintauschen. Wie Wohnen bezahlbar bleibt, wie Menschen an ihrer Stadt teilhaben können sind ebenso Themen wie Dichte als Möglichkeit für städtisches Leben. Die „Neuen Standards“ stehen dabei für ein kompaktes Wohnen mit anpassungsfähigen Raumstrukturen und für ein Wohnen, das sich auf Essenzielles besinnt und reich an Atmosphäre ist.

Die Ausstellung findet vom 25. November 2017 bis 16. Januar 2018 im Kreativquartier (Halle 6, Dachauer Straße 112d) in München statt.

Die Ausstellung „Neue Standards. Zehn Thesen zum Wohnen“ wird in Kooperation mit dem BDA Bayern, dem BDA München-Oberbayern, dem Kulturreferat und dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München gezeigt.
 

Olaf Bahner und Matthias Böttger

DAZ, Berlin

Quellenangaben

Bildquelle: Schnepp Renou

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