Immobilien und
Industrie 4.0.

Die BEOS AG entwickelt und bewirtschaftet Unternehmensimmobilien. Das sind gemischt genutzte Gewerbeobjekte aus den Bereichen Büro, Produktion, Service und Logistik. Vorstandsmitglied Hendrik Staiger erläutert in unserem Interview den grundlegenden Wandel, den die Immobilienwirtschaft durch die Digitalisierung erfährt. Hendrik Staiger hat vor seiner Tätigkeit im Immobilienbereich als Diplom-Physiker in der produktionsnahen Forschung und Entwicklung gearbeitet, sodass er eine hohe Affinität zum Thema Industrie 4.0 und eigene Praxiserfahrungen einbringt. Darüber hinaus ist Hendrik Staiger Vorstandsvorsitzender der crenet Deutschland e.V. Die Organisation ist eine Kommunikationsplattform und ein interdisziplinäres Netzwerk für Unternehmen und Immobilienprofis, die im engen Dialog miteinander die Zukunft von Unternehmensimmobilien gestalten. Eine der wichtigsten Herausforderungen: Industrie 4.0 und Immobilien.

Herr Staiger, was haben Immobilien mit Industrie 4.0 zu tun?

Auf den ersten Blick gar nichts. Schaut man jedoch genauer hin, sehr viel. Denn in der Industrie findet fast alles in Immobilien statt. Dazu gehört natürlich gerade die Produktion. Mit der Industrie 4.0 wird sich hier sehr viel verändern. Nicht nur die Produktion wird intelligenter und vernetzter, auch der gesamte Prozess über Unternehmensgrenzen hinweg ist betroffen – von der Bestellung über die Fertigung und Logistik bis zur Auslieferung. Wir werden deutlich mehr individualisierte Produkte erhalten und es werden komplett neue Geschäftsmodelle entstehen.

Wir beginnen gerade erst, die neuen Möglichkeiten auszuloten. Aus meiner vorherigen Tätigkeit in der Forschung und Entwicklung kenne ich den Verlauf von Innovationen – zunächst flach, gefolgt von einem exponentiellen Anstieg. So erwarte ich es beispielsweise auch bei 3D-Druck, Künstlicher Intelligenz, Big Data und vielen weiteren neuen Technologien, die gerade gleichzeitig am Anfang der steilen Entwicklung stehen.

Wie wird das aussehen?

Durch die Digitalisierung wird unsere Branche ebenfalls schneller, durch neue IT-Lösungen wie Big Data und Sensorik intelligenter. Unsere Prozesse müssen viel einfacher für die Kunden werden, beispielsweise sollten Mietverhältnisse per App viel einfacher geschlossen werden können, gegebenenfalls auch über Plattformen. Das sind die Rahmenbedingungen für eine digitalisierte, schnell wandelbare Wirtschaft.

Als BEOS AG stellen wir uns intensiv darauf ein. Wir haben eine eigene Abteilung für Digitalisierung geschaffen und ein Joint Venture mit dem jungen Softwareunternehmen Architrave geschlossen. Dadurch bringen wir unsere große Immobilien-Expertise und IT-Know-how zusammen, insbesondere in den Bereichen Datenbanken und Künstliche Intelligenz. Wir sammeln in unserer Branche enorme Datenmengen, in denen Potenziale stecken, die wir durch neue IT-Technologien heben und daraus neue Geschäftsmodelle entwickeln können.

Zwar stehen wir hierbei in der Immobilienbranche und auch in der Industrie 4.0 noch am Anfang und der Fokus ist noch auf Optimierungen gerichtet. Doch das muss und wird sich ändern: Es geht um neue Geschäftsmodelle, um Möglichkeiten, von denen wir heute noch gar nichts ahnen.

Was heißt das konkret für Immobilien?

Wir werden mehr Büroanteile für Forschung und Entwicklung benötigen, während der Flächenbedarf für die Produktion sinken wird. Die Grenzen zwischen diesen Bereichen werden teilweise fließend sein. Es wird auch kleinere Einheiten geben, die nicht zwingend in Gewerbegebieten angesiedelt sein müssen, sondern auch in einem urbanen, attraktiven Umfeld denkbar sind, da die Industrie 4.0 mit smarten Produktionstechniken weder Lärm noch Dreck verursacht. Alle Immobilien müssen aber deutlich flexibler als bisher sein.

Langfristige Nutzungen und Planbarkeit, so wie wir es aus der Vergangenheit gewohnt sind, wird immer seltener werden. Vielmehr werden Smart Factories in der Lage sein, sich selbstständig umzustrukturieren, um neuen Anforderungen gerecht zu werden. Hierbei geht es dann nicht ausschließlich um neue Produktionsprozesse, sondern auch um die Umsetzung neuer Geschäftsmodelle. Auch die Immobilienwirtschaft wird sich darauf einstellen müssen.

Was braucht man jetzt, um die Visionen erfolgreich umzusetzen?

Voraussetzung dafür ist auch eine geeignete Infrastruktur, allen voran schnelles Internet. Im internationalen Vergleich haben wir in Deutschland großen Aufholbedarf. Auch Immobilien müssen für den Wandel ausgerüstet sein.

Die gute Nachricht: Es wird immer weniger Einschränkungen durch Kabelnetze geben, da eine neue mobile Vernetzung hohe Datenraten zulässt. 5G-Netze werden LTE ablösen und enorme Übertragungsraten ermöglichen. Das heißt, auch in dieser Hinsicht werden Immobilien flexibler. Und das ist zwingend notwendig, da die Industrie 4.0 beispielsweise mit Digital Twins arbeitet – jede reale Maschine hat einen digitalen Zwilling und beide kommunizieren miteinander.

Auch die Logistik benötigt ultraschnelles Internet und keineswegs nur eine gute Verkehrsanbindung, wie weithin angenommen wird. Ohne eine umfassende Vernetzung läuft in der Logistik gar nichts.

Können Bestandsimmobilien das alles leisten, was Sie beschreiben?

Nicht alle Bestandsimmobilien sind für Industrie 4.0 geeignet. Das müssen sie auch nicht, denn es gibt viele andere zukunftsorientierte Nutzungskonzepte. Interessant ist aber, dass bestimmte Immobilientypen wieder an Bedeutung gewinnen. Dazu gehören innerstädtische, mehrgeschossige Industrieimmobilien. Sie bieten ideale Voraussetzungen für die flexible Flächennutzung durch Büros, Entwicklungsbereiche und hochmoderne Produktion unter einem Dach – genau das, was wir für die Industrie 4.0 benötigen.

Ein wichtiger Faktor ist, dass die smarte und saubere Produktion damit näher zum Kunden kommt. Das bringt neben anderen Vorteilen auch neue Möglichkeiten der Individualisierung von Produkten. Wie das in der Praxis aussieht, lässt sich am Beispiel eines Sneaker Stores zeigen: vorne attraktive Verkaufsräume, dahinter die individualisierte Produktion – direkt vor Ort statt zentralisiert und weit entfernt.

Auch das Geschäft mit Ersatzteilen wird sich durch den 3D-Druck verändern. Gefragt sind dann für bestimmte Teile nicht mehr nur große Hallen für die Bevorratung, sondern flexible, kleine Einheiten vor Ort, in denen on demand die benötigten Teile hergestellt werden. Solche Modelle sind in vielen Bestandsimmobilien abbildbar.

Wenn alles näher an den Kunden rückt, wie teilt man den knappen Raum im urbanen Umfeld auf?

Es wird zu spürbaren Verschiebungen kommen. Die Flächenkonkurrenz im urbanen Raum zwischen Wohnen, Büro, Industrie und Handel wird weiter zunehmen. Der E-Commerce verändert bereits jetzt den Handel. Shopping wird geprägt sein durch einen Mix aus Erlebniswelten, Entertainment und Online-Handel. Die heutigen, teilweise große Flächen beanspruchenden Konzepte werden abnehmen. Die dadurch entstehenden Freiräume werden aber von der notwendigen City-Logistik auch dringend benötigt. Bei der Planung dieser neuen Urbanisierung befindet sich unsere Branche noch im Experimentierstadium.

Bei so viel Dynamik in allen Bereichen wären da modulare und mobile Gebäudelösungen nicht ideal?

Meiner Ansicht nach sind die Zukunftsperspektiven für modulare und mobile Immobilien hervorragend. Diese ursprünglich für schnell realisierbare Gebäude oder auch als temporäre Lösung gedachten Konzepte bekommen jetzt eine neue Bedeutung, da Flexibilisierung immer wichtiger wird: Modulare und mobile Raumlösungen lassen sich leicht und effizient an neue Bedarfe anpassen. Das trifft genau die Marktanforderungen. Wir sehen uns inzwischen damit konfrontiert, dass Unternehmen nicht vorhersagen können, wie ihre Büros oder Produktionsflächen in fünf bis zehn Jahren aufgestellt sein müssen. Da bieten modulare flexible Raumlösungen ein hohes Maß an Zukunftssicherheit.

Welche Erwartungen haben Sie für die Zukunft? Was braucht man, damit die Pläne gelingen?

Ich bin Optimist, sehe aber auch die Schwierigkeiten. Wir haben zu wenig Spezialisten für die Digitalisierung und die Industrie 4.0 in Deutschland – das gilt auch für die Immobilienwirtschaft. Das wird eine große Bildungsaufgabe.

Nach meiner Beobachtung ist der Mittelstand zudem noch sehr zurückhaltend bei der Umsetzung neuer Konzepte und Geschäftsmodelle. Hier fehlt noch oft die digitale Kompetenz. Neue Technologien, insbesondere im Hinblick auf die Datensicherheit, werden oftmals skeptisch betrachtet. Und es fehlt – wie erwähnt – die nötige Infrastruktur. Wir verfügen in Deutschland zwar über die Qualität, es mangelt jedoch bislang an der Umsetzung.

Ein weiterer entscheidender Aspekt: Junge, agile Menschen bevorzugen Arbeitgeber in einem attraktiven, urbanen Umfeld. Hier sollten die Betriebe umdenken: Industrie 4.0 eröffnet die Chance, sich in innerstädtischen Immobilien oder in gut angebundenen Randbereichen von Ballungsgebieten anzusiedeln. Auf diese Weise können mittelständische Unternehmen künftig mit großen, internationalen Corporates konkurrieren, die dieses Thema für ihr Fachkräfte-Recruiting bereits erkannt haben und entsprechend agieren.

Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir diese Hürden nehmen und den digitalen Wandel sowie Industrie 4.0 erfolgreich gestalten werden.

Dirk Zandecki

Redakteur

Quellenangaben

BEOS AG

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